Betreff
Zwischenbericht zur Umsetzung der Maßnahme Erfassung und Weiterentwicklung bestehender Handlungsansätze zum Schutz vor sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche
Vorlage
0150/2021/KREIS
Art
Beschlussvorlage

Der Jugendhilfeausschuss nimmt den Zwischenbericht zur Umsetzung der Maßnahme zur Erfassung und Weiterentwicklung bestehender Handlungsansätze zum Schutz vor sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche zur Kenntnis.

 


Rechtsgrundlage:

§ 1 Abs. 3 Punkt 3 SGB VIII Recht auf Erziehung, Elternverantwortung, Jugendhilfe

Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG) 

JHA Beschluss vom 04.02.2020

Sachdarstellung:

 

1.      Ausgangslage

Mit Verabschiedung des Maßnahmenprogrammes 2020 beauftragte der JHA die Verwaltung des Jugendamtes damit, die bestehenden Handlungsansätze zum Schutz vor sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche zu erfassen sowie resultierend daraus, aufzuzeigen, welche Maßnahmen zur Weiterentwicklung der bestehenden Handlungsansätze und              -strukturen als erforderlich angesehen werden.

2.      Methodisches Vorgehen

Zur Bearbeitung der Maßnahme wurde eine kleine Arbeitsgruppe gebildet, der jeweils 2 Vertreter*innen aus den Arbeitsgemeinschaften „Tagesbetreuung“, „Jugendarbeit“ und „Hilfen für junge Menschen und Familien“ angehören. Weiterhin gehören eine Vertreterin des Fachbereichs Jugend und Familie sowie der Geschäftsführer des Kreisdekanats Borken der Arbeitsgruppe an.  Die Leitung der Arbeitsgruppe nimmt die Jugendhilfeplanerin des Kreises wahr.

In einem ersten Schritt wurde erarbeitet, welche Informationen erforderlich sind, um die bestehenden Handlungsansätze in den verschiedenen Leistungsfeldern der Jugendhilfe zu erfassen. D.h. es wurden bereichsbezogene als auch bereichsübergreifende Fragestellungen erarbeitet.

Anschließend wurden diese dann in allen 3 Arbeitsgemeinschaften bearbeitet. Diese Fragestellungen berücksichtigten die spezifischen Voraussetzungen, die in den jeweiligen Tätigkeitsfeldern zu beachten sind wie z.B. das Alter der Zielgruppe, die strukturellen Rahmenbedingungen des Handlungsfeldes wie die räumlichen Gegebenheiten, die personelle Besetzung u.a.m. Darüber hinaus war es auch von Interesse, die trägerbezogenen Maßnahmen zur Erhöhung des Schutzes von jungen Menschen in den Blick zu nehmen.

In den Sitzungen der Arbeitsgemeinschaften zur Jugendhilfeplanung wurden die Fragen erörtert, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Handlungsansätzen ermittelt sowie weitere Fragen, die sich den Fachkräften stellen und Unterstützungsbedarfe formuliert.

Die Ergebnisse der Beratungen wurden wieder in die kleine Arbeitsgruppe zurückgekoppelt.

3.      Präventionsrelevante Aspekte in den verschiedenen Handlungsfeldern

In jedem Handlungsfeld der Jugendhilfe gilt es mit Blick auf die Entwicklung und Vorhaltung von Präventionsansätzen spezifische Besonderheiten zu beachten. Diese beziehen sich sowohl auf die Besonderheiten der Zielgruppe, die räumlich-sächlichen Voraussetzungen, die Rahmenbedingungen unter denen das Angebot vorgehalten wird als auch auf die personelle Ausstattung.

Zu benennen sind folgende Aspekte, die in den Präventionsansätzen zu berücksichtigen sind:

·         Alter und Entwicklungsstand des Kindes/Jugendlichen und damit einhergehend unterschiedliche Fähigkeiten des jungen Menschen sich mitzuteilen

·         Entwicklungsstand des Kindes/Jugendlichen und damit einhergehende Ausdrucksformen und Entwicklung der Sexualität (kindliche Sexualität, Jugendsexualität)

·         Häufigkeit der Kontakte der haupt-/ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen zu den Kindern/Jugendlichen (z.B. tägliche vs. sporadische Kontakte)

·         Zugangs-/Kontaktmöglichkeiten zu Eltern

·         Personalausstattung in den Einrichtungen und Diensten (z.B. Mitarbeiter*innen, die alleine oder temporär alleine in Einrichtungen/Diensten arbeiten)

·         Machtstrukturen, die Abhängigkeiten zwischen Erwachsenen und jungen Menschen beinhalten

·         Körperliche Nähe (z.B. beim Sport, in Ferienfreizeiten, in stationären Einrichtungen der Erziehungshilfe)

4.      Zentrale Fragestellungen

Für den Leistungsbereich der „Tagesbetreuung von Kindern“ (AG I) waren insbesondere folgende Fragestellungen von Relevanz:

·         Wie sehen die trägerbezogenen Maßnahmen zur Prävention sexualisierter Gewalt aus?

·         Wer verfügt über ein sexualpädagogisches Konzept?

·         Wie und von wem werden vereinbarte Ansätze/Konzepte überprüft und weiterent­wickelt?

·         Welche Aufgaben übernehmen die Fachberatungen im Zuge des Krisenmanage­ments?

Für den Leistungsbereich der „Jugendarbeit(AG II) war eine separate Betrachtung der Bedingungen von offener und verbandlicher Jugendarbeit erforderlich. Beide Bereiche unterscheiden sich hinsichtlich der strukturellen Rahmenbedingungen sehr voneinander. So ist die Jugendarbeit in Verbänden und Vereinen geprägt vom Einsatz ehrenamtlicher Mitarbeiter*innen, während in der offenen Kinder- und Jugendarbeit hauptamtliche Personalstrukturen zu verzeichnen sind. Als relevante Fragestellungen wurden ermittelt:

·         Welche präventiven Angebote werden von den Jugendwerken als Träger der Offenen Kinder- und Jugendarbeit vorgehalten?

·         Wie werden die Auflagen überprüft? Wer ist dafür verantwortlich?

·         Wie sehen die präventiven Ansätze in den Jugendvereinen und -verbänden aus?

(Katholische und Evangelische Jugend, Jugendrotkreuz, Sportjugend, Naturschutzjugend, Musikerjugend…)

·         Wie überprüfen die örtlichen Jugendvereine und –verbände, ob Auflagen / Ab­spra­chen, die zur Prävention von sexuellem Missbrauch vereinbart wurden auch eingehalten werden? Wer ist dafür verantwortlich?

Bezogen auf den Leistungsbereich „Hilfen für junge Menschen und Familien in Belastungs-, Krisen- und Notsituationen“ (AG III) wurden insbesondere folgende Fragen erörtert:

·         Welche Träger von ambulanten/stationären Hilfen und/oder von Jugendsozialarbeit verfügen über eigene Konzepte zur Prävention von sexuellem Missbrauch?

·         Welche Träger von stationären Einrichtungen haben spezialisierte Kompetenzen im Umgang mit Kindern/Jugendlichen, die sexuell missbraucht wurden?

·         Welche Beratung wird von wem in stationären Einrichtungen vorgehalten?

·         Welche Träger halten im Bereich „Sexualpädagogik“ eigene Angebote vor?

·         Welche Träger von Beratungsdiensten halten Angebote vor, die sowohl von Eltern als auch von Fachkräften (auch aus den Bereichen außerhalb von Erziehungshilfen wie Tagesbetreuung, Jugendarbeit) in Anspruch genommen werden können?

5.      Vorläufige Ergebnisse

Tagesbetreuung von Kindern

Die Träger der Tageseinrichtungen sind fachlich sehr unterschiedlich aufgestellt. Es ist ein breites Spektrum unterschiedlicher Präventionsmaßnahmen (Erarbeitung von Institutionellen Schutzkonzepten, Fortbildungen, Sexualpädagogische Konzepte…) zu verzeichnen.

Während einige Träger schon Schutzkonzepte erarbeitet haben, befinden sich andere Träger noch in der Bearbeitungsphase und verfügen noch nicht über ein eigenes Schutzkonzept.

Dachverbände haben in der Regel ein übergeordnetes Konzept (z.B. Kath. Kirche, Evangeli-sche Kirche, AWO, DRK) deren Umsetzung bzw. Konkretisierung für alle dem Dachverband zugehörigen Träger verbindlich ist.

Bei den Elterninitiativen, die dem DPWV als Dachverband angeschlossen sind, wird vom Dachverband auf Ortsebene Beratung und Fortbildung angeboten. Der Dachverband kann den örtlichen Trägern allerdings keine Vorgaben machen.

Die Frage danach, wie eine Überprüfung der Konzepte aussieht und erfolgt, konnte von kei-nem Träger beantwortet werden.

Die Aufgaben der Fachberatungen im Kontext der Entwicklung und Unterstützung von Prä-ventionsmaßnahmen variiert sehr stark.  

Jugendarbeit

Bezogen auf die Offene Kinder- und Jugendarbeit (OKJA) ist festzustellen, dass einzelne Träger über Schutzkonzepte verfügen. Präventionsschulungen werden von den Trägern durchgeführt.

Die hauptamtlichen Mitarbeiter*innen, die bei einem Jugendwerk beschäftigt sind, nehmen - sofern die katholische Kirche Mitglied des Jugendwerkes ist – an den Präventionsschulungen des Bistums für Mitarbeiter*innen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit teil.

Einzelne Einrichtungen bieten sexualpädagogische Angebote für Kinder/Jugendliche an. Dazu zählen auch Medienprojekte, die in Kooperation mit Schulen durchgeführt werden und Kinder /Jugendliche vor sexualisierter Gewalt ausgehend von den digitalen Medien schützen sollen.

Als Problem wird es von hauptamtlichen Mitarbeiter*innen in der offen Kinder- und Jugend-arbeit angesehen, dass die Mitarbeiter*innen oftmals allein ohne Kolleg*innen arbeiten und dass sie vielerorts auch aufgrund der räumlichen Bedingungen nicht alles sehen und beobachten  können. Letzteres bezog sich auch darauf, dass die sexuellen Übergriffe unter Gleichaltrigen ebenfalls als Themenfeld im Kontext der Prävention sexualisierter Gewalt benannt wurden.

Aufgeworfen wurde in der AG II auch die Frage, wie sich Mitarbeiter*innen, die allein in der Einrichtung arbeiten, selber vor möglichen sexuellen Übergriffen und/oder falschen Anschul-digen schützen können. 

In den Jugendverbänden sind oftmals auf Ebene der Dachverbände Schutzkonzepte vorhan-den (z.B.: Sportjugend NRW, Jugendrotkreuz Westfalen-Lippe, Diözesanverbände im Bistum Münster, Evangelische Jugend im Kirchenkreis Steinfurt-Coesfeld-Borken).

Analog der für einzelne Dachverbände im Bereich der Tageseinrichtungen für Kinder zu ver-zeichnenden Rahmenbedingungen, können auch die Dachverbände der Jugendverbände die Ortsverbände nicht zur Einhaltung der Konzepte verpflichten.

Vor Ort oder auf Kreisebene verfügen Vereine und Verbände teils über Standards bei der Ausbildung von Gruppenleiter*innen/Übungsleiter*innen. Selbstverpflichtungserklärungen, Ehrenkodizes und Handreichungen sind weitere Ansätze zur Stärkung der Prävention.

Die Sicherstellung der Weitergabe vereinbarter Standards, wenn es zu Personalwechseln kommt, wurde ebenfalls als bedeutsam für die Prävention angesehen.

Hilfen für junge Menschen und Familien in Belastungs-, Krisen- und Notsituationen

Auch bei den Trägern von ambulanten und stationären Hilfen, von Beratungsangeboten sowie von Angeboten der Jugendsozialarbeit ist ein sehr heterogenes Bild bezüglich der vorhandenen Präventionsansätze zu verzeichnen. So gibt es Träger, die bereits über individuelle Schutzkonzepte speziell bezogen auf ihre Hilfe (z.B. stationäre Einrichtung) verfügen, die eigene Schutzbeauftragte benannt haben und Träger, die sich noch in der Erarbeitungsphase eines Schutzkonzeptes befinden.

Fortbildungen zum Thema „Umgang mit von sexualisierter Gewalt betroffenen Kin-dern/Jugendlichen “ werden i.d.R. von allen Trägern angeboten.

Sexualpädagogische Angebote werden von einigen Trägern vorgehalten.

Da Mitarbeiter*innen von Diensten und Einrichtungen der Erziehungshilfe oftmals mit trau-matisierten Kindern arbeiten, verfügen etliche Träger auch über Mitarbeiter*innen mit spezifi-schen Qualifikationen. (z.B. Traumatherapeutische Ausbildung)

Die Bedeutung der Erörterung von Beobachtungen/Verdachtsmomenten im Team wurde als ein wesentlicher Aspekt angesehen, um frühzeitig Gefährdungen zu erkennen.

Neben der Organisation von Schutzmaßnahmen wurde die Förderung einer reflektierten Hal-tung der Mitarbeiter*innen zum Umgang mit der Thematik als erforderlich angesehen.

6.      Weiteres Vorgehen

Die bisherige fachliche Erörterung des Themas in allen drei Planungsbereichen hat gezeigt, dass der Fokus der Träger/Fachkräfte auf die Wahrnehmung des Schutzauftrages bei Kindeswohlgefährdung (§ 8a SGB VIII) gerichtet ist. Hier gibt es verbindliche gesetzliche Vorgaben zu den von freien Trägern als auch vom öffentlichen Träger der Jugendhilfe zu veranlassenden Maßnahmen. 

So erfolgte in den Erörterungen in allen drei Arbeitsgemeinschaften immer wieder ein Wechsel vom Thema „Prävention“ hin zum Thema „Umgang mit einer vermuteten Kindeswohlgefährdung“. Dies zeigte, dass das Thema „Prävention“ von vielen Trägern noch nicht bzw. noch nicht umfassend in den Blick genommen wird, da die qualifizierte Sicherstellung der mit dem Schutzauftrag verbundenen Aufgaben nach wie vor Priorität besitzt. Die Entwicklung von Konzepten, Qualitätsstandards und internen Leitfäden/Verfahrensabläufen bezogen auf die Intervention bei (vermuteter) oder beobachteter sexualisierter Gewalt bildet bei den meisten Trägern den Schwerpunkt der Aufgabenwahrnehmung im Rahmen des Kinderschutzes. Die Entwicklung von Konzepten und Qualitätsstandards bezogen auf die Prävention von sexualisierter Gewalt nimmt demgegenüber bei den meisten Trägern eine nachrangige Stellung ein bzw. befindet sich noch in den Anfängen.

Deutlich wurde auch, dass bezogen auf die explizite Einschätzung von Gefährdungen junger Menschen durch die Ausübung sexualisierter Gewalt große Unsicherheiten bei den Fachkräften zu verzeichnen sind und von diesen auch Qualifizierungsbedarfe formuliert wurden.

Die Auseinandersetzung mit und die Entwicklung von Maßnahmen/Strukturen zur Erhöhung des Schutzes vor sexualisierter Gewalt stellt sich deshalb als eine Aufgabe, die in den nächsten Jahren verstärkt anzugehen ist.

Perspektivisch bedarf es aus jugendhilfeplanerischer Sicht vor allem folgender Maßnahmen:

·         Entwicklung und Implementierung von (institutionellen) Schutzkonzepten bei allen Trägern

·         Benennung der wesentlichen sowie der verpflichtend in ein Schutzkonzept aufzunehmenden Aspekte auf der strukturellen Ebene als auch bezogen auf das pädagogische Handeln

·         Verbindliche Verankerung und Überprüfung vorhandener Schutzmaßnahmen und

  –konzepte der Dachverbände auch auf Ortsebene

·         Sicherstellung niedrigschwelliger Zugänge zu Beratungsmöglichkeiten für junge Menschen, Personensorgeberechtigte und Fachkräfte

·         Überprüfung der vorhandenen sexualpädagogischen Ansätze (Trägerebene und Einrichtungsebene)

·         (Weiter-)entwicklung sexualpädagogischer Konzepte und Ansätze

·         Qualifizierung der haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen.