Betreff
Sachstandsbericht zu den Mobilitätshilfen nach SGB IX ("Behindertenfahrdienst")
Vorlage
0100/2022/KREIS
Art
Beschlussvorlage

Der Ausschuss nimmt den Sachstandsbericht zur Kenntnis.


Rechtsgrundlage:

Sachdarstellung:

 

Ausgangssituation:

Seit 1981 hat der Kreis Borken im Wege des Zuwendungsrechts den Behindertenfahrdienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) im Kreis Borken gefördert. Im Haushalt 2022 sind für diesen Zweck 63.500 € vorgesehen. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) erstattet als originär zuständiger Eingliederungshilfeträger nach SGB IX 80 % der Zuwendungsleistung.

Der alljährliche Zuwendungsbescheid an das DRK legte fest, welche Leistungen das DRK als Zuwendungsnehmer zu erbringen hatte. Auf der Basis der „Richtlinien zur Förderung des Fahrdienstes für Menschen mit Behinderung im Kreis Borken vom 08.02.2005 (vgl. Anlage zur Sitzungsvorlage 0013/2005) hatten anspruchsberechtigte Personen so die Möglichkeit, ihre mobilitätsbedingten Teilhabebeschränkungen durch die Nutzung des kostengünstigen Fahrdienstes auszugleichen. Je Fahrt war ein geringer finanzieller Eigentanteil zu entrichten, außerdem gab es eine Mengen- und km-Begrenzung bei der Nutzung. Den Fahrdienst durfte nutzen, wer

·         Inhaber/in eines gültigen Schwerbehindertenausweises mit dem Merkmal „aG“ (außergewöhnlich gehbehindert) ist,

·         seinen/ihren Wohnsitz im Kreis Borken hat,

·         aufgrund der Behinderung ständig auf einen Rollstuhl angewiesen ist und

·         zur Fortbewegung dauernd anderer Hilfen bedarf.

·        

Antragsteller/innen, auf deren namen ein Pkw zugelassen war oder die in Begleitung den öffentlichen Personennahverkehr nutzen konnten, waren nicht zur Nutzung des Fahrdienstes berechtigt.

Eine Überprüfung, ob die Nutzer/innen in wirtschaftlicher Hinsicht leistungsberechtigt sind, erfolgte bewusst nicht. Durch diese Zuwendungslösung war eine Bearbeitung von Einzelfallanträgen über Jahrzehnte nicht erforderlich. Dies war aus Verwaltungsvereinfachungsgründen sehr zu begrüßen.

Das DRK hat dem Kreis Borken Anfang 2022 mitgeteilt, dass das Angebot des Behindertenfahrdienstes zum 28.02.2022 eingestellt werden müsse. Dies hat das DRK mit betriebswirtschaftlichen Erwägungen und auch mit akutem Mangel an Fahrpersonal begründet.

Der Kreis Borken, Fachbereich (FB) Soziales (50), war vor diesem Hintergrund extrem kurzfristig damit konfrontiert, die berechtigten Ansprüche von Menschen mit Behinderung auf Mobilitätshilfen im Wege von Einzelfallanträgen zu bearbeiten.

Mit Schreiben vom 17.02.2022 hat der FB 50 die bisherigen 85 Nutzer/innen des DRK-Behindertenfahrtdienstes der Jahre 2020 und 2021 über die Einstellung des Fahrdienstangebotes und über die nun notwendige Antragstellung für Fahrbedarfe im Einzelfall informiert. Informationen gingen auch in Richtung des AK Behindertenhilfe und der betroffenen Einrichtungen. 

Aktueller Sachstand:

Die geänderte Verfahrensweise hat bei den betroffenen bisherigen Nutzern/innen einen deutlichen Beratungsbedarf und vielfältige Fragen ausgelöst. So ist beispielsweise jede antragstellende Person gehalten, vor der Realisierung eines Fahrwunsches mit dem FB 50 Kontakt aufzunehmen und im Antragsverfahren klären zu lassen, ob man zum leistungsberechtigten Personenkreis nach § 99 SGB IX i. V m. § 2 Abs. 1 SGB IX gehört und auch, ob man hinsichtlich der eigenen Einkommens- und Vermögensverhältnisse mit einer vollen Erstattung der Fahrdienstkosten rechnen kann oder ggf. mit einem Eigenanteil rechnen muss. Auch zeigt sich, dass einzelne bisherige Nutzer/innen des DRK-Fahrdienstes vor allem wegen ihrer Vermögensverhältnisse nicht leistungsberechtigt nach SGB IX sind und nunmehr ihre Mobilitätskosten aus eigenen Mitteln finanzieren müssen. Der Aspekt der wirtschaftlichen Leistungsberechtigung i.S. der Sozialgesetzbücher war bei der bisherigen Zuwendungspraxis nicht vorhanden und stellte insofern eine freiwillige Leistung des Kreises Borken dar.

Fragen der Betroffenen richten sich auch auf die Information über potenzielle Anbieter/innen von (speziellen) Fahrdienstleistungen und die konkrete Abwicklung im Einzelfall. Da sich die bisherigen Nutzer/innen nunmehr um anderweitige Fahrmöglichkeiten selbst kümmern müssen, lieb gewonnenes Nutzungsverhalten nicht mehr realisierbar ist und das Einzelantragsverfahren als „sperrig“ empfunden wird, hat die geänderte Verfahrensweise bei den Betroffenen auch negative Resonanz hervorgerufen.

Die Situation hat auch im FB 50 zu einer erhöhten Belastung in der Fachabteilung 50.41 – Hilfen für Menschen mit Behinderung – geführt. Aktuell erfolgt eine Personalakquise, weil die Mehrarbeit mit dem vorhandenen Personal auch perspektivisch nicht zu bewältigen ist.

 

Perspektive ab 01.07.2022:

Durch die Regelungen des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) ist die sachliche Zuständigkeit für die Bearbeitung von Mobilitätshilfen an erwachsene Menschen mit Behinderung ab 01.01.2020 auf den überörtlichen Eingliederungshilfeträger übergegangen. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) hat von seiner Delegationsmöglichkeit Gebrauch gemacht, die Aufgabenausführung auf die Mitgliedskommunen zu delegieren. Somit ist der Kreis Borken verpflichtet, die nunmehr eingehenden Einzelanträge zu bearbeiten.

Der LWL hat als originär zuständiger Aufgabenträger zusammen mit dem Landschaftsverband Rheinland (LVR) die Ambition, die Form/Bewilligung der Mobilitätshilfen landesweit zu vereinheitlichen. Zu diesem Zweck startet am 01.07.2022 ein Pilotprojekt, in dem die pauschalierte Bewilligung von Mobilitätshilfen erprobt werden soll. Die Pauschalierung hat zum Ziel, einen Großteil der potenziellen Antragsteller/innen befriedigen zu können und so den Anteil derjenigen Einzelanträge, die einer Pauschalierung nicht zugänglich sind, auf ein möglichst geringes Maß zu reduzieren. Mit diesem Pilotansatz soll zum einen dem Gedanken der selbstbestimmten Teilhabe von Menschen mit Behinderung Rechnung getragen und zum anderen ein möglichst verwaltungsschlankes Verwaltungsverfahren etabliert werden.

Der Kreis Borken hat sich im LWL-Bezirk neben vier anderen Mitgliedskommunen als Pilotkommune zur Verfügung gestellt. Die Pilotphase startet zum 01.07.2022. Die Abstimmung der konkreten Konditionen für das Pilotprojekt in einer Arbeitsgruppe beim LWL hat ergeben, dass die pauschale Geldleistung

·         450 Euro im Jahr, wenn man sich in ein Fahrzeug (z.B. Taxi) setzen kann,

·         600 Euro im Jahr, wenn man im Rollstuhl sitzend gefahren werden muss,

·         900 Euro im Jahr, wenn man einen Liegendtransport und/oder eine Tragehilfe benötigt,

betragen soll. Der Betrag wird dann in vierteljährlichen Raten überwiesen. Auch ist besprochen, wie mit denjenigen Antragstellern/innen umgegangen wird, die keine Pauschalierung wünschen (weiter Einzelanträge/Nachweise).

Die betroffenen Personen im Kreisgebiet werden in der 19. KW über die Rahmenbedingungen des Pilotprojektes informiert und mit ihnen abgestimmt, ob eine Pauschalierung gewünscht wird oder nicht. Empfänger/innen der pauschalierten Leistung müssen dann keine Anträge für einzelne Fahrten mehr stellen und sind auch nicht nachweispflichtig, ob und in welchem Maße die erhaltene pauschalierte Geldleistung für welche Fahrten verwendet wurde. Der FB 50 wird beim betroffenen Personenkreis aktiv für die Pauschalierung werben und bietet Beratung im Einzelfall an.

Die Pilotphase rund um die Pauschalierung soll – so die Planung des LWL – zunächst bis zum 31.12.2023 gelten.

Die Aufgabe „Bearbeitung von Mobilitätshilfen“ ist allerdings eine vom LWL delegierte Daueraufgabe, deren Personalkosten der Kreis Borken aus eigenen Mitteln finanzieren muss. Die Kosten für die Fachleistungen werden zu Lasten des LWL verausgabt und beeinflussen damit die Höhe der Landschaftsumlage.

Die Frage der Menge des benötigten Personals wird zunächst mit 1,0 VK (Verwaltungskraft des mittleren Dienstes) eingeschätzt. Dieser Personalbedarf wird dann im Stellenplan 2023 ausgewiesen. Der Stellenbedarf für diese ad hoc zusätzlich aufgetauchte notwendige Tätigkeit konnte im Stellenplanverfahren 2022 leider keine Berücksichtigung finden. Ob die Personalbemessung auskömmlich ist, muss dann das weitere Geschehen rund um die neue Aufgabe zeigen.

 

 

Entscheidungsalternative(n):

Nein


Finanzielle Auswirkungen:

Ja        

Verschiebung der Transferaufwendungen/Kostenerstattung rund um die Mobillitätshilfen („Behindertenfahrdienst“) von Produkt 01.02.01 in das Produkt 01.09.01 Eingliederungshilfe (Leistungen im Rahmen der Delegation für den LWL) ab 2023, Höhe der Aufwendungen/Erstattungen ab 2023 noch unklar. Stellenmehrbedarf zur Bearbeitung der Einzelanträge auf Mobilitätshilfen, auch zur weiteren Abwicklung im Zuge der pilotierten Pauschallösung, abzubilden im Stellenplan 2023


  


Klimafolgenabschätzung:

Klimafolgen, die sich aus dem Beschluss ergeben, sind nicht zu erwarten / sind nicht ersichtlich