Der Kreistag beschließt die
nachstehende Resolution „Teilhabe für alle durch Inklusion ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe
und erfordert eine aufgabenadäquate Finanz-ausstattung der Träger der
Eingliederungshilfe“ und fordert damit das
Land NRW und den Bund auf, sich an einer aufgabenadäquaten Finanzierung der
gesamtgesellschaftlichen Aufgabe der Teilhabe für alle durch Inklusion zu
beteiligen.
Rechtsgrundlage:
§ 26 Abs. 1 Kreisordnung NRW
Sachdarstellung:
In den Gesprächen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL)
mit den Kreisen und kreisfreien Städten, aber auch mit den kreisangehörigen
Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern im Rahmen der Haushaltsberatungen für den
Haushaltsplan 2023 bestand Einigkeit, dass es zu einer dauerhaften Entlastung
der kommunalen Familie bei den dynamisch steigenden Kosten in der
Eingliederungshilfe kommen muss. Um das Land NRW und den Bund hierzu
aufzufordern, hat die Landschaftsversammlung am 20.12.2022 die nachstehende
Resolution beschlossen.
In der Resolution werden das Land NRW und der Bund aufgefordert,
sich an einer aufgabenadäquaten Finanzierung der gesamtgesellschaftlichen
Aufgabe der Teilhabe für alle durch Inklusion zu beteiligen. Um eine
nachhaltige finanzielle Entlastung der Kommunen zu erreichen, soll insbesondere
auf folgende Punkte hingewirkt werden:
1. Das Land NRW soll schrittweise den
Verbundsatz im Gemeindefinanzierungsgesetz auskömmlich anheben. Eine Erhöhung
um einen Prozentpunkt auf 24 Prozent würde im Jahr 2023 zu einer kommunalen
Entlastung von rund 652 Mio. EUR führen.
2. Das Land NRW wird aufgefordert, den vollen
Konnexitätsausgleich für das AG-BTHG zu gewährleisten.
3. Die 5 Mrd. Euro Bundesentlastung bei der
Eingliederungshilfe soll der Kosten-entwicklung entsprechend aufgestockt und
dynamisiert werden und die Dynamisierungszuwächse möglichst den Aufgabenträgern
zufließen.
4. Der § 43a SGB XI ist zu so reformieren, dass
pflegebedürftige und -versicherte Menschen mit Behinderungen, die in besonderen
Wohnformen der Eingliederungshilfe leben, mit anderen (Pflege)-Versicherten
gleichbehandelt werden.
Eine finanzielle Beteiligung durch das Land NRW und den Bund an
den Kosten der Eingliederungshilfe würde die gesamte kommunale Familie
entlasten.
Die Kreisverwaltung schlägt vor, der Bitte des LWL, sich der
nachstehenden Resolution anzuschließen und diese ebenfalls zu beschließen, um
den Druck auf das Land NRW und den Bund zu erhöhen, zu folgen und sich dadurch
für eine nachhaltige finanzielle Entlastung der Kommunen einzusetzen.
Resolution
Teilhabe für alle durch Inklusion ist eine
gesamtgesellschaftliche Aufgabe und erfordert eine aufgabenadäquate
Finanzausstattung der Träger der Eingliederungshilfe
Teilhabe für alle durch Inklusion ist eine gesamtgesellschaftliche
Aufgabe. Dies wurde auch vor dem Hintergrund der im Jahre 2009 in Deutschland
in Kraft getretenen UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), welche neue
Staatsziele für die Unterstützung von Menschen mit Behinderungen verbindlich
gemacht hat, ausdrücklich anerkannt. Das Bundeskabinett hat hierzu am 28. Juni
2016 die zweite Auflage des Nationalen Aktionsplans zur
UN-Behindertenrechtskonvention (NAP 2.0) verabschiedet. Der NAP 2.0 enthält 175
Maßnahmen in 13 Handlungsfeldern. Hierzu gehören Rechtssetzungsvorhaben, wie
das Bundesteilhabegesetz sowie Maßnahmen zur Förderung der beruflichen Teilhabe
von Menschen mit Behinderungen (u. a. das Budget für Arbeit). Ein Großteil der
beschlossenen Maßnahmen wird von den Kommunen umgesetzt.
Bundesweit sind die Bruttoausgaben in der Eingliederungshilfe vom
Jahr 1981 mit rd. 1,6 Mrd. EUR auf rd. 22 Mrd. EUR in 2021 dynamisch
angestiegen. Für die kommunale Familie in NRW stellen die dynamisch steigenden
Kosten in der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen eine große
Herausforderung dar. Auf den LWL als Träger der Eingliederungshilfe entfallen
im Jahr 2023 rd. 3,1 Mrd. EUR. Der Großteil der Aufwendungen wird dabei über die Umlagen seiner
Mitgliedskörperschaften finanziert. Die Kosten der Eingliederungshilfe belasten
somit die gesamte kommunale Familie überproportional. Die
gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Inklusion bedarf einer
gesamtgesellschaftlichen adäquaten Finanzierung.
Die Lebenserwartung der Menschen mit wesentlichen Behinderungen
steigt glücklicherweise deutlich an. Dadurch ist Eingliederungshilfe für immer
längere Zeiträume erforderlich. Insbesondere die Lebenserwartung der Menschen
mit geistiger Behinderung nähert sich der allgemeinen Lebenserwartung an.
Darüber hinaus steigt die Zahl der Menschen, die mit wesentlichen Behinderungen
geboren werden ständig an. Diese Entwicklung lässt sich unter anderem auch in
der amtlichen Schülerstatistik des MSB sowie in der Schwerbehindertenstatistik
ablesen. Mit dem Alter nehmen die Hilfebedarfe der Personen mit Behinderung
auch im pflegerischen Bereich deutlich zu. Anders als bei Menschen mit normaler
Erwerbsbiografie sind diese Bedarfe sogar besonders hoch, weil besondere
Kommunikation erforderlich ist. Auch die Zahl der Menschen mit psychischen
Erkrankungen und Behinderungen nimmt seit Jahren stark zu. Dies lässt sich an
der Vielzahl der Krankenkassenreporte zum Anstieg der psychischen Erkrankungen
deutlich ablesen. Bei Chronifizierung fallen diese Menschen ebenfalls in den
Leistungsbereich der Träger der Eingliederungshilfe.
Über 80 % der Kosten der Eingliederungshilfe basieren auf den
Personalkosten der Leistungsanbieter. Die Personalkosten in diesem Bereich
entwickeln sich besonders dynamisch. Für das Jahr 2023 entsteht ein Mehrbedarf
von insgesamt rd. 195,5 Mio. EUR, das sind rd. 6,5 % des Haushaltsvolumens des
LWL. Insbesondere die Umsetzung des SuE-Tarifvertrages für Betreuungskräfte in
Pflege und Behinderteneinrichtungen, bedingt eine Steigerung im LWL-Haushalt um
81,3 Mio. EUR. Für die Tarifentwicklung gibt es kaum Steuerungsmöglichkeiten.
Die Anbieter der Eingliederungshilfe haben in NRW eine sehr hohe Tarifbindung.
Die tarifliche Vergütung darf der LWL gem. §§ 38 Abs. 2, 124 Abs. 1 Satz 6 SGB
IX nicht als unwirtschaftlich ablehnen.
Aus den Ausführungen wird deutlich, dass immer mehr Menschen mit
teilweise zusätzlichen Pflegebedarfen von den Landschaftsverbänden als Träger
der Eingliederungshilfe versorgt werden. Die hierfür notwendigen Fachkräfte
müssen gefunden und tarifgerecht bezahlt werden, um die Versorgung weiterhin zu
gewährleisten.
Daher sind das Land NRW und der Bund besonders gefordert, um
nachhaltige Lösungen zur Beteiligung an den Kosten der Eingliederungshilfe zu
finden und die Kommunen zu entlasten. Insbesondere folgende Punkte sind
besonders wichtig, um die Handlungsfähigkeit der kommunalen Familie weiterhin
aufrecht zu erhalten:
1. Verbundsatz im
Gemeindefinanzierungsgesetz auskömmlich anheben und den vollen
Konnexitätsausgleich für das AG-BTHG gewährleisten
Die Kommunen in NRW stehen vor großen Herausforderungen. Dies gilt
für die Städte und Gemeinden ebenso wie für die umlagefinanzierten Kreise und
Landschaftsverbände, die vielfach nicht umhinkommen, ihre Mitglieder mit
steigenden Umlagezahlungen zu belasten. Allein für die beiden
Landschaftsverbände werden für das Haushaltsjahr 2023 mehr als 6,2 Mrd. EUR als
Aufwand für die gesamten Eingliederungshilfeleistungen anfallen. Es zeichnen
sich sowohl im Bereich der Fallkosten als auch im Rahmen der
Fallzahlentwicklung weitere beträchtliche Steigerungen ab.
Die passgenauere Angebotssteuerung für Menschen mit Behinderungen
führt zwar zu rückläufigen Fallzahlanstiegen u.a. im Bereich der
Werkstatt-Beschäftigten und bei den besonderen Wohnformen, dennoch steigen mit
der gesetzlichen Einführung des Bundesteilhabegesetzes und des diesbezüglichen
Ausführungsgesetzes seit 2020 die Fallzahlen in den weiteren Leistungsbereichen
(z.B. im ehemals ambulant betreuten Wohnen) erheblich an. Aufgrund der
Personalintensität der von den Landschaftsverbänden getragenen sozialen
Leistungen haben Tarifsteigerungen - zuletzt des Tarifvertrages für den Sozial-
und Erziehungsdienst (TVöD-SuE) erhebliche Auswirkungen auf die Fallkosten.
Hinzu kommen die inflationsbedingte Steigerung der Sachkosten und steigende
Hilfebedarfe von Leistungsempfängern und Leistungsempfängerinnen aufgrund
zunehmenden Alters und des Bedarfs an besonderen, individuellen Leistungen.
Zur Entlastung der kommunalen Familie soll das Land NRW
schrittweise den Verbundsatz im Gemeindefinanzierungsgesetz auskömmlich
anheben. Eine Erhöhung um einen Prozentpunkt auf 24 Prozent würde im Jahr 2023
zu einer kommunalen Entlastung von rund 652 Mio. EUR führen.
Die Übernahme der Aufgaben von neuen Leistungsgesetzen sollte nur
unter strenger Einhaltung der Konnexitätsregeln erfolgen. Daher wird das Land
NRW aufgefordert, den vollen Konnexitätsausgleich für das AG-BTHG zu
gewährleisten.
2.
Aufstockung und Dynamisierung der 5 Mrd. EUR Bundesentlastung
Am 24. Juni 2012 haben sich Bund und Länder zur innerstaatlichen
Umsetzung der Vorgaben des Fiskalvertrages geeinigt. Dabei bestand zwischen
Bund und Ländern Einigkeit, dass die kommunalen Finanzen bei der Einhaltung des
Fiskalpaktes eine wichtige Rolle spielen. Insbesondere die Leistungen der
Eingliederungshilfe sind hier von zentraler Bedeutung. Der Bund hat sich im
Koalitionsvertrag 2013 dazu bekannt, die Kommunen im Umfang von 5 Mrd. EUR
jährlich zu entlasten. Nach langen Verhandlungen wurden mit dem Gesetz zur
Beteiligung des Bundes an den Kosten der Integration und zur weiteren
Entlastung von Ländern und Kommunen die Entlastungswege über die
Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft, dem kommunalen
Umsatzsteueranteil sowie dem Länderanteil an der Umsatzsteuer beschlossen. Die
gewährte Entlastung von 5 Mrd. EUR durch den Bund entsprach der damaligen
Forderung nach einer 1/3-Beteiligung im Sinne einer gesamtgesellschaftlichen
Finanzierung, der sich Bund, Länder und Kommunen stellen. Die Bundesentlastung
ist jedoch statisch und wächst nicht dynamisch mit den Fallzahl- und
Fallkostenanstiegen in der Eingliederungshilfe. Während der Kosten in der
Eingliederungshilfe zum Zeitpunkt des Beschlusses bei rd. 15 Mrd. EUR lagen,
sind diese auf rd. 22 Mrd. EUR in 2021 gestiegen. Mittlerweile müsste die
Bundesbeteiligung demnach bei rd. 7,3 Mrd. EUR liegen. Dies würde für die
kommunale Familie in Westfalen-Lippe Entlastung i.H.v. rd. 230 Mio. EUR
bedeuten.
Eine dynamische 1/3-Beteiligung des Bundes ist daher dringend
geboten.
3.
Reformierung des Regelungskomplexes § 43a SGB XI
In der Pflegeversicherung gilt eine umfassende
Versicherungspflicht für alle gesetzlich und privat Versicherten. Menschen mit
Behinderungen sind wie Menschen ohne Behinderungen in der Regel in der
Pflegeversicherung versichert und zahlen Beiträge. Die Beiträge der
Pflegeversicherung werden bei Menschen mit und ohne Behinderung, die
Grundsicherung erhalten, vom örtlichen Träger (Kreise und kreisfreie Städte)
übernommen. Für Menschen mit Behinderungen gibt es allerdings eine gesetzliche
Sonderregelung. Leben sie in einer eigenen Wohnung oder bei Angehörigen,
erhalten sie die Leistungen der ambulanten Pflege. Leben sie in einer
stationären Einrichtung der Pflegeversicherung erhalten sie ebenfalls die
vollen Leistungen. Leben sie dagegen in einer besonderen Wohnform der
Eingliederungshilfe, erhalten sie statt der vollen Pflegeleistungen nach § 43a
SGB XI nur einen gedeckelten Höchstbetrag von bis zu 266 EUR monatlich. Dies
stellt eine erhebliche Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen in
besonderen Wohnformen dar, weil ihnen die üblichen Leistungen der
Pflegeversicherung bei ambulanter bzw. stationärer Pflege vorenthalten werden.
Menschen mit Behinderung müssen unabhängig von ihrem Aufenthaltsort einen
gleichberechtigten Zugang zu den Leistungen der Pflegeversicherung haben.
Eine der wesentlichen Neuerungen des BTHG ist die
Personenzentrierung der Leistungen, d. h., die Leistungen der
Eingliederungshilfe sollen sich nur am Bedarf der Personen ausrichten und nicht
mehr an dem Ort, an dem die Leistung erbracht wird. Die Regelung des § 43a SGB
XI ist mit dieser Regelung nicht mehr zu vereinbaren. Ein Gutachten im Auftrag
des LWV Hessen hat bereits die Verfassungswidrigkeit von § 43a SGB XI dargelegt,
da diese gegen das Diskriminierungsverbot aus Artikel 3 Abs. 3 des
Grundgesetzes und gegen die UN-Behindertenrechtskonvention verstößt.
Nach aktuellen Daten des Bundesministeriums für Gesundheit leben
rund 141.000 Menschen mit Behinderungen mit mindestens Pflegegrad 2 in
besonderen Wohnformen und erhalten Eingliederungshilfeleistungen. Sofern
anstelle § 43a SGB XI die sonst üblichen Pflegesachleistungen für Pflegedienste
in Anspruch genommen werden können, beliefen sich die Mehrkosten auf rund 1,5
Mrd. EUR. Die genannten Beträge beziehen sich jeweils auf das Bundesgebiet.
Nach einer Faustformel entfallen davon 10 % auf Westfalen-Lippe. Für den LWL
als Träger der Eingliederungshilfe würde dies eine Entlastung von rd. 150 Mio.
EUR bedeuten.
Der § 43a SGB XI muss deshalb so reformiert werden, dass
pflegebedürftige und -versicherte Menschen mit Behinderungen, die in besonderen
Wohnformen der Eingliederungshilfe leben, mit anderen (Pflege)-Versicherten
gleichbehandelt werden.
Entscheidungsalternative(n):
Der Kreistag
beschließt die vorstehende Resolution nicht oder in geänderter Fassung.
Klimafolgenabschätzung:
Klimafolgen, die sich aus dem Beschluss ergeben, sind
nicht zu erwarten / sind nicht ersichtlich