Betreff
Zahngesundheit der Kinder in Kindertagesstätten
Vorlage
0268/2010
Art
Beschlussvorlage öffentlich

Der Jugendhilfeausschuss nimmt den Sachstandsberichts zur Zahngesundheit der Kinder in Kindertagesstätten zur Kenntnis.


Rechtsgrundlage:

§ 10 Abs. 3 Kinderbildungsgesetz (KiBiz)

§ 13 Abs. 1 Gesetz über den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGDG)

§§ 21 und 26 Sozialgesetzbuch V (SGB V)

Verordnung zur Datenmeldung der Teilnahme an Kinderfrüherkennungsuntersuchungen/
U-Untersuchungen (U-Untersuchung-TeilnahmedatenVO – UteilnahmeDatVO)


Sachdarstellung:

Über die Zahngesundheit bei Kindern in Kindertagesstätten und Schulen wurde zuletzt in der Sitzung des Jugendhilfeausschusses des Kreises Borken am 25.02.2010 (SV Nr. 0018/2010) beraten. Der Jugendhilfeausschuss fasste den Beschluss, die seit 2003 im Kreis Borken bestehende Praxis, statt in Kindertageseinrichtungen die Kinder der Klassen 1 bis 4 der Grund- und Förderschulen durch den zahnärztlichen Dienst des Gesundheitsamtes des Kreises Borken jährlich zahnärztlich zu untersuchen, beizubehalten. In der Sitzung hatte der Fachbereich Gesundheit die statistische Auswertung der zahnärztlichen Reihenuntersuchungen bei den 6- und 7-jährigen Grundschülern vorgestellt und dargestellt, dass sich seit dem Verzicht der Reihenuntersuchungen durch das Gesundheitsamt in den Kindergärten die Kariesprävalenz bei den Grundschulkindern im kreisweiten Durchschnitt nicht verschlechtert hat. Kreisweit 62% der untersuchten Kinder weisen danach ein naturgesundes oder saniertes Gebiss auf. Eine kreisweite Durchführung der zahnärztlichen Reihenuntersuchungen in den Kindertageseinrichtungen durch den Fachbereich Gesundheit sei mit dem vorhandenen Personal nicht möglich und würde zusätzliche Ressourcen in Höhe von ca. 100 TEUR erfordern. In dem Bericht des Zahnärztlichen Dienstes und in der Diskussion im Ausschuss wurde zudem darauf hingewiesen, dass weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Zahngesundheit von Kindern – auch im Milchgebissalter – angestrebt werden, da der aktuelle Anteil von 38% sanierungsbedürftiger Kindergebisse der Erstklässler als zumindest unbefriedigend und optimierungsbedürftig angesehen wird. Dies gelte vor allem für einen – auch in überregionalen Studien vergleichbar festzustellenden – Anteil von 25% Kariesrisikokinder, die 75% aller kariösen Zähne auf sich vereinen. Hierzu solle in dem Arbeitskreis Zahngesundheit in der Herbstsitzung am 17.11.2010 über konkrete Verbesserungsmöglichkeiten und ggf. Modellansätze beraten werden, die insbesondere auf eine Verbesserung der Motivation betroffener Eltern und Kinder - vor allem im Hinblick auf eine erforderliche Behandlung - zielen sowie die bereits bestehenden Angebote und Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherungen und der kommunalen Gesundheitsleistungen bei Prophylaxe, Beratung,  Untersuchung und Behandlung effektiv aufeinander abstimmen. Eine Überlegung sei, die zahnärztliche Vorsorgeuntersuchung entsprechend oder innerhalb des für kinderärztliche Vorsorgeuntersuchungen (sog. U-Untersuchungen) vorgesehenen Untersuchungsheftes und Verfahrens zu dokumentieren und zu überprüfen.

Zur Zeit steht bei den Kindern in den Kindergarteneinrichtungen die Aufklärung im Vordergrund. Über Elternbriefe und Informationsveranstaltungen sowie anhand praktischer Übungen mit den Kindern durch die Prophylaxeteams und durch Betreuungszahnärzte werden Eltern und Kinder für das Thema Zahngesundheit sensibilisiert und sollen Ängste vor einer zahnärztlichen Behandlung abgebaut werden. Mit einem jährlichen Budget von über 200 TEUR werden über den Arbeitskreis Zahngesundheit diese Maßnahmen abstimmt. In diesem Arbeitskreis sind die Krankenkassen, die Prophylaxehelferinnen der Krankenkassen, die niedergelassenen Zahnärzte, die Zahnärztekammer und der zahnärztliche Dienst des Fachbereichs Gesundheit vertreten.

In der Sitzung des Jugendhilfeausschusses am 24.06.2010 hatte die Verwaltung über folgende weitere Entwicklungen und Diskussionen im Nachgang zu der Beratung und Beschlussfassung berichtet: Im Nachgang zu der Sitzung des Jugendhilfeausschusses hatte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen den Landrat aufgefordert, diesen Beschluss des Jugendhilfeausschusses zu beanstanden, da er ihrer Meinung nach gegen die Regelungen des KiBiz verstoße, wonach „das Jugendamt für jährliche ärztliche und zahnärztliche Untersuchungen der Kinder in den Tageseinrichtungen Sorge zu tragen“ hat (§ 10 Abs. 3 KiBiz). Der Landrat ist nach eingehender rechtlicher Prüfung zu dem Ergebnis gekommen, dass der Beschluss des Jugendhilfeausschusses mit dem geltenden Recht vereinbar ist und hat diese Entscheidung schriftlich mitgeteilt (Schreiben vom 16.04.2010, Anlage 1). Ein Initiativkreis „Zähnchen“ hatte mit Schwerpunkt in der Stadt Gronau, aber auch im übrigen Kreisgebiet zahlreiche Unterschriften in den Kindertageseinrichtungen für eine Wiedereinführung von kreisweiten Reihenuntersuchungen in den Kindertageseinrichtungen durch den Kreis gesammelt und dem Landrat am Rande der Kreistagssitzung am 15.07.2010 übergeben. Am 17.12.2010 wird der Petitionsausschuss des Landtags über eine Petition von Herrn Herbert Krause in dieser Sache eine Anhörung durchführen.

Der Landkreistag NRW hat die Diskussionen und Überlegungen im Kreis Borken aufgegriffen und mit Blick auf die anstehende Novellierung des KiBiz beim Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport NRW darum gebeten, zum einen die Regelung des § 10 Abs. 3 KiBiz dahin gehend klarstellend neu zu fassen, dass die Vorschrift keine unmittelbare Verpflichtung der Jugendämter beinhalte, jährliche Untersuchungen selbst oder in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt oder anderen Stellen anzubieten bzw. durchzuführen. Zum anderen solle dies mit einer Ausweitung der Vorsorgedokumentation auf die zahnärztliche Prävention verbunden werden (Schreiben des LKT NRW vom 20.08.2010, Anlage 2).

Mit der Aufnahme der zahnärztlichen Vorsorgeuntersuchungen in das „U-Untersuchungsheft“ kann eine stärkere Verankerung im Bewusstsein der Eltern erreicht werden. Andererseits ist ein dauerhafter und nachhaltiger Appell auf rein freiwilliger Basis bei denjenigen Eltern, die ihrer Erziehungs- und Fürsorgeverantwortung trotz Aufforderung und Beratung nicht ausreichend nachkommen, möglicherweise nicht ausreichend – das zeigen alle bisherigen Erfahrungen mit Reihen- und Vorsorgeuntersuchungen. Soll diese besondere Risikogruppe ebenfalls erreicht werden, erscheint es erforderlich, die Überprüfung der Teilnahme an den kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchungen (UTeilnahmeDatVO)) um die Überprüfung der Teilnahme an den zahnärztlichen Vorsorgeuntersuchungen zu ergänzen.

Der Fachbereich Gesundheit hat im Zusammenhang mit den öffentlichen Diskussionen und den Gesprächen mit Vertretern des Initiativkreises „Zähnchen“ die kreisweite und im Jugendhilfeausschuss am 25.02.2010 vorgestellte Auswertung der Reihenuntersuchungen bei den Erstklässlern weiter analysiert.  Dabei ging es insbesondere um die Frage, ob und welche Unterschiede in der Zahngesundheit der Kinder zwischen den einzelnen kreisangehörigen Städten und Gemeinden im Kreis Borken festzustellen sind und wo ggf. Handlungsbedarf bzw. Optimierungsansätze aufgezeigt werden können. Die gemeindescharfe Auswertung der Reihenuntersuchung bei den Erstklässlern zeigte folgende Unterschiede in Bezug auf den Anteil der Kinder mit behandlungsbedürftigen Gebissen  (vgl. Tabelle 1).

Tabelle 1: Rangfolge beim Anteil der Kinder mit behandlungsbedürftigen Zähnen

Rang

Stadt/Gemeinde

Anteil Kinder mit behandlungsbedürftigen Zähnen in %

1

Stadtlohn

28,19

2

Heek

29,17

3

Raesfeld

30,46

4

Heiden

30,48

5

Rhede

33,78

6

Reken

34,10

7

Gescher

35,50

8

Ahaus

36,09

9

Bocholt

36,91

10

Legden

38,74

11

Borken

38,77

12

Velen

39,34

13

Schöppingen

39,78

14

Südlohn

41,85

15

Vreden

43,44

16

Isselburg

45,29

17

Gronau

53,24

Unter Einbeziehung aller wesentlichen für die Zahngesundheit relevanten Beurteilungskriterien ergibt sich folgende Auswertung (vgl. Tabelle 2):


Tabelle 2: Gesamtranking

Rang

Stadt / Gemeinde

dmf-t

DMF-T

x 2

natur-gesund

behandlungs-bedürftig

Sanier.-Grad

Versiegelg.

Rangpunkte

DAJ

gesamt

1

Raesfeld

3

1

6

2

3

3

11

29

1

Stadtlohn

2

8

4

1

1

10

3

29

3

Heiden

1

7

2

6

4

6

5

31

4

Heek

4

2

10

4

2

7

4

33

5

Ahaus

8

4

18

10

8

2

1

51

5

Reken

7

6

12

5

6

5

10

51

7

Gescher

5

5

16

3

7

12

6

54

8

Rhede

9

11

8

14

5

1

7

55

9

Bocholt

6

13

14

7

9

9

14

72

10

Velen

13

3

22

11

12

13

9

83

11

Südlohn

10

10

20

13

14

4

17

88

12

Schöppingen

12

12

30

12

13

11

2

92

13

Borken

11

9

26

9

11

16

12

94

14

Vreden

14

14

22

15

15

8

8

96

15

Legden

16

16

32

8

10

17

15

114

16

Isselburg

15

17

28

16

16

15

13

120

17

Gronau

17

15

34

17

17

14

16

130

Erläuterung:                bester Wert:                1 Punkt

                                    schlechtester Wert:     17 Punkte

                                    Gewichtung Kariesrisiko nach DAJ = Rangpunkte x 2

                                    Daten aus Schuljahr 2008/09


Nach dieser Datenauswertung weist die Stadt Gronau bei der Zahngesundheit der Erstklässler deutlich schlechtere Zahlen als die anderen Städte und Gemeinden auf. Daher führte der Fachbereich Gesundheit in seiner Eigenschaft als beratende Fachbehörde (§ 2 Abs. 2 Ziff. 5 ÖGDG) am 25.10.2010 ein Gespräch mit dem zuständigen Jugendamt der Stadt Gronau.

Angesichts der von zwei niedergelassenen Betreuungszahnärzten erhobenen Daten zur Zahngesundheit der Kinder in einzelnen Kindertagesstätten, die im Wesentlichen mit den Auswertungen des Gesundheitsamtes für die Erstklässler übereinstimmen, sollte sondiert werden, ob und ggf. in welcher Form das Jugendamt bei der Erfüllung seiner Aufgabe nach § 10 Abs. 3 KiBiz beraten und unterstützt werden kann. Zu dem Gespräch wurden auch die o.g. Betreuungszahnärzte eingeladen.

Das Gespräch ergab, dass das Jugendamt der Stadt Gronau Beratung und Unterstützung durch den Fachbereich Gesundheit wünscht. Es wurde u.a. vereinbart, dass die KiTas durch niedergelassene Zahnärzte betreut werden sollen, die den Kindern durch einen Besuch der Praxis die Angst vor dem Zahnarzt nehmen. Der zahnärztliche Dienst des Kreises wird während der Projektlaufzeit von 2-3 Jahren stichprobenartig Untersuchungen durchführen, um sich ein eigenes Bild von der aktuellen Zahngesundheit der Kinder und von der Wirksamkeit der Maßnahmen zu verschaffen. Gegenwärtig sind noch 4 von 26 KiTas ohne Betreuungszahnarzt. Zusätzlich sollen ein Vorsorgeheft und ein Erinnerungsschreiben des Jugendamtes die Eltern bei der regelmäßigen Inanspruchnahme der zahnärztlichen Vorsorgeuntersuchungen unterstützen. Ein ganz wesentlicher Baustein wird die Entwicklung eines Hilfe- und Unterstützungsangebotes sein, mit dem Kindern und Eltern mit Zugangshemmnissen der Weg in die Zahnarztpraxis erleichtert werden soll. Dabei geht es um eine Gruppe von Karieshochrisikokindern, die immerhin einen Anteil von 16 % an allen untersuchten Kindern ausmachen und die 56 % aller kariösen Zähne auf sich vereinen. Dieses Verfahren berücksichtigt Erfahrungen aus verschiedenen Modellansätzen innerhalb und außerhalb des Kreises Borken, mit denen in der Vergangenheit versucht wurde, den Anteil der Hochrisikokinder zu vermindern. Mit Hilfe eines Rückmeldesystems soll die Wirksamkeit der Maßnahmen überprüft und ggf. nachgesteuert werden.

Diese Eckpunkte sollen noch weiter abgestimmt und ggf. weiterentwickelt werden. Sollte das Projekt erfolgreich sein, können die Optimierungsansätze auch auf die Schulen sowie auf andere Kommunen im Kreis übertragen werden. Auch die Beratungen im Zusammenhang mit der Novellierung des KiBiz sollen berücksichtigt werden.

Die Diskussion im Arbeitskreis Zahngesundheit am 17.11.2010 ergab, dass Untersuchungen in den KiTas durch Betreuungszahnärzte aus verschiedenen Gründen nicht praktikabel sind. Ein Schwerpunkt soll deshalb auf die Einführung eines zahnärztlichen Untersuchungsheftes einschließlich Rückmeldesystem gelegt werden. Besonderen Anklang fand die Idee der „Zahnmütter“, die in Familien mit schwierigem sozialem Hintergrund Hilfen und Unterstützung anbieten.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass ein aktueller Anteil von 25 % Kariesrisikokindern (die 75 % aller kariösen Zähne auf sich vereinen) bzw. ein Anteil von kreisweit 38 % der untersuchten Kinder mit sanierungsbedürftigen Zähnen nicht zufrieden stellend ist und insbesondere in der Stadt Gronau mit teilweise über 50 % sanierungsbedürftiger Gebisse Handlungsbedarf besteht. Daher sollten dort die o.g. Optimierungsansätze auf ihre Wirksamkeit erprobt werden. Die Erfahrungen aus den Reihenuntersuchungen – auch anderer Gebietskörperschaften - zeigen, dass gesundheitsbewusste Eltern dem Hinweis auf die Notwendigkeit eines Besuchs beim Hauszahnarzt dankbar folgen und auch offen für eine Erinnerung seitens anderer Stellen wären. Für einen nicht unerheblichen Teil der Kinder und ihrer Eltern stellt der Gang in die Zahnarztpraxis aber eine hohe, teils unüberwindliche Hürde dar, bei deren Bewältigung Hilfestellung erforderlich ist, die im Rahmen von Reihenuntersuchungen nicht gewährt werden kann. Ein deutlich kleinerer Teil der Eltern zeigt sich resistent gegenüber Beratung und Hilfsangeboten. Hier muss wenigstens ausgeschlossen werden können, dass eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, und der Versuch eines Hilfeangebots unternommen werden.

Es bleibt abzuwarten, ob im Rahmen der Novellierung des Kibiz die Einbeziehung der zahnärztlichen Vorsorgeuntersuchungen in das U-Untersuchungsheft und in die UTeilnahmeDatVO erfolgt.

Entscheidungsalternative(n):

Ja

Nein

Wenn ja, welche ?

Wiedereinführung der zahnärztlichen Reihenuntersuchungen in den Kindertagesstätten durch den Zahnärztlichen Dienst des Fachbereichs Gesundheit. Die Bewältigung dieser Aufgabe erfordert die Schaffung eines dritten Untersuchungsteams, bestehend aus 0,5 Stelle Zahnarzt/-ärztin und mindestens 0,5 Stelle Zahnarzthelfer/in mit einem zusätzlichen jährlichen Aufwand von 92.460 €. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit Reihenuntersuchungen wird diese Maßnahme alleine nicht ausreichen, um die Zahngesundheit der KiTa-Kinder entscheidend und nachhaltig zu verbessern. Auch hier sind zusätzliche Maßnahmen zur Verbesserung der Inanspruchnahme des Hauszahnarztes erforderlich.